Noise: Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können
Debiasing at it’s best – sollte jeder Entscheider gelesen haben
Der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2002 Daniel Kahneman dürfte vielen Menschen gut bekannt sein, nachdem er gemeinsam mit Amos Tversky 2011 den Weltbestseller und Longseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ veröffentlicht hatte. Auch Cass R. Sunstein wurde durch sein Buch „Nudge“ bekannt, das er mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger 2017 Richard Thaler über Verhaltensökonomik veröffentlicht hatte. Olivier Sibony ist weniger bekannt, aber bringt als Unternehmensberater die Praxiserfahrung mit. Alle drei haben den Titel „Noise – Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können“ geschrieben.
Fazit:
Ich habe die englische Ausgabe gelesen, daher sind die Seitenangaben ggf. leicht abweichend. Das Buch ist in sechs Teile gegliedert: „Finding Noise“ (S. 11ff), „Your Mind Is a Measuring Instrument“ (S. 39ff), „Noise in Predictive Judgments“ (S. 107ff), „How Noise Happens“ (S. 159ff), „Impoving Judgments“ (S. 221) und „Optimal Noise“ (S. 325ff). Im Anhang findet sich außerdem eine Anleitung für ein „Noise Audit“ (S. 379ff) und eine Checkliste für Entscheidungs-Bobachter (S. 387ff). Die Buchteile sind in meistens kurze Unterkapitel unterteilt, anderen Ende sich immer in wenigen gut formulierten Sätzen eine Zusammenfassung befindet. Wie im deutschen und englischen Subtitel gesagt, geht es nicht nur um die Reduzierung von Noise, sondern auch kognitiven Verzerrungen, welche ja das Kernthema von Kahnemann und auch Sunstein sind. Beides trägt zu falschen Entscheidungen bei und somit auch zu möglichen fatalen Konsequenzen. Illustriert wird dies anhand von Beispielen bei Richterentscheidungen oder Versicherungsfällen. Aber letztlich ist jede Organisation und Institution bis hin zur Familie von Noise und kognitiver Verzerrung betroffen. Immer wieder erläutern die Autoren auch, wie es bei systematischem Vorgehen (Noise-Audits) gelungen ist, konsistente Entscheidungen herbeizuführen. Die wichtigste Erkenntnis für jedermann- und -frau ist, dass bereits eine Rücksprache zwischen zwei Personen zur Noise- und Bias-Reduzierung führt als eine Einzelentscheidung. Dann gilt, je erfahrender oder fähiger diese Personen sind, desto eher wird die Entscheidung erfolgsversprechend. Das ganze auf große Organisationen übertragen bedeutet allerdings nicht, dass alle Menschen mitreden und alles wissen müssten. Daher müssen Entscheidungsprozesse strukturiert werden und oft ist es sinnvoller, dass Entscheidern unnötige und möglicherweise verzerrende Informationen vorenthalten werden, damit sie unbeeinflusst bleiben. Es gilt daher zwischen „Level Noise“ und „System Noise“ zu unterscheiden, wenn Hierarchie-Ebenen vorhanden sind und generell die organisationsinternen Abläufe allein aufgrund der unterschiedlichen Mitarbeiter und Zuständigkeiten zu unterschiedlichen Bewertungen und Entscheidungen führen. Interessant ist, dass bei der Lektüre klar wird, dass Noise auch in jeder gesellschaftlichen Debatte eine große Rolle spielt. So wissen wir oft nicht, was die wahre „Zielgröße“ ist, obwohl dies in Meinungsbeiträgen oder politischen Programmen mit absoluter Selbstgewissheit vorgegeben wird. So zum Beispiel die Debatte um die Transformation des Ernährungssystems: Es wird suggeriert, wir müssten möglichst viel pflanzenbasierte Nahrung verzehren, um das Klima und die Umwelt zu retten. 100%, also vegan, wäre demnach erstrebenswert, jedoch versorgungstechnisch und ernährungsphysiologisch für die Gesamtbevölkerung Deutschlands und auch der ganzen Welt nicht realisierbar. Aktuell verzehren wir bereits zu 70 Gewichtsprozent pflanzliche Lebensmittel. Eine Noise-Analyse würde uns möglicherweise eine reale Zielgrüße geben, die nicht von ideologischen Einflüssen verfälscht wird. Das Buch liefert viele Beispiele und verlangt dem Leser auch an ein oder anderer Stelle etwas Abstraktionsvermögen und statistische Kenntnisse ab. Daher ist es sicher keine Bettlektüre für ein bisschen Ablenkung. Für Menschen mit Interesse an Organisations- und Unternehmenspsychologie ist es aber in jedem Fall eine Empfehlung …